Prediger Sommerreihe Teil 6: Italienisches Design
Kaum ein Design wird derart nachhaltig bejubelt wie das italienische. Dabei war es bis 1945 quasi nicht existent. Wie kam es zu einem derartigen Boom? Was war das Erfolgsgeheimnis? Und kann man italienisches Design heutzutage eigentlich noch genau definieren? Das alles sind Fragen, denen wir im sechsten Teil unserer Design-Serie nachgehen.
Kaum ein Design wird derart nachhaltig bejubelt wie das italienische. Dabei war es bis 1945 quasi nicht existent. Wie kam es zu einem derartigen Boom? Was war das Erfolgsgeheimnis? Das alles sind Fragen, denen wir im sechsten Teil unserer Design-Serie nachgehen.
Anders als in Deutschland, tat man sich in Italien mit der Industrialisierung und dem damit einhergehenden Designanfangsstadium schwer. Während hierzulande die ersten Künstlerzentren gegründet wurden und nur wenig später in den 1920er-Jahren das Bauhaus in aller Munde war, wurde in Italien noch fleißig solide Landwirtschaft betrieben. Der Hype um das Bauhaus versickerte im Ackerboden. Auch die 1933 erstmals stattfindende Triennale in Mailand änderte nichts daran, dass Design in Italien nicht wirklich stattfand.
Das wandelte sich erst, als der italienischen Regierung ebenso wie der Wirtschaft klar wurde, dass man gegen die Produkte aus anderen Ländern nicht ankommen würde, wenn die eigenen nicht auch optimierter und kunstvoller daherkämen. Als erste Maßnahme wurde deswegen Kunst Pflichtfach in allen Schulen. Was sich erst einmal recht ungewöhnlich anhört, war eine sehr clevere Idee, die den Umschwung brachte. Denn zum einen wurde die breite Bevölkerungsschicht in Form und Ästhetik geschult. Zum anderen konnten so aber auch Talente entdeckt werden. Und vor allem schlich sich so ein fundiertes Formbewusstsein in den kollektiven Geschmack der Italiener.
Innovationen aus dem Hause Oluce
Ab 1945 konnten die Früchte dieser intellektuellen Saat geerntet werden. Während die meisten Länder noch mit den Weltkriegsnachwehen zu kämpfen hatten, florierte in Italien bereits die Wirtschaft. Vor allem viele kleinere Handwerksbetriebe erholten sich schnell vom Krieg und kurbelten ihre Produktionen wieder an. Jetzt allerdings holten sie Designer mit an Bord. Anders als die theoretische Bauhaus-Herangehensweise oder das profitorientierte Design in den USA, experimentierte man in Italien mit Formen und Farben. Ohne dabei aber die alte kulturelle Tradition des Landes zu vergessen. Schönheit und Funktion wurden nicht singulär betrachtet. Sie gehörten von Anfang an zusammen.
Eine der ersten Firmen, bei der das besonders deutlich wurde, war der 1945 gegründete Leuchtenhersteller Oluce. Hier gingen Design und technische Innovation von Anfang an Hand in Hand. Kein Wunder, dass sich schnell die ersten Erfolge einstellten. 1954 kam dann mit der Agnoli 387 des Designers Tito Agnoli der internationale Durchbruch. Die Stehleuchte mit ihrer radikalen Optik nimmt erstmals vom traditionellen Leuchtenschirm Abschied und stellt das Leuchtmittel selbst in den Vordergrund. Dieses bahnbrechende Design war eine Sensation. Kein Wunder, dass Oluce diesen Klassiker nach wie vor herstellt.
„Bel Design“ trifft auf „Radical Design“
Bleiben wir ruhig noch einen Moment im Jahr 1954. Denn mit der Gründung des Compasso d’Oro durch die mailändische Kaufhauskette La Rinacente wurde dem italienischen Design weiter Vorschub gegeben. Mit dem inzwischen legendären Designpreis werden nämlich ausschließlich Produkte ausgezeichnet, die aus Italien kommen. Eine exklusive Trophäe also, die das italienische Design heiß begehrt machte. Bereits 1955 kam es so dazu, dass die „italienische Linie“ auch international bekannt wurde und als Begriff für ein modernes und kosmopolitisches Leben galt.
Hinzu kam dann noch das Wirtschaftswunder. Das italienische Design boomte. Zu Beginn der 1960er-Jahre war das Land im Wohlstand angekommen. Und damit auch im Massenkonsum, der das „Bel Design“ propagierte und dieses für die breite Bevölkerungsschicht zugänglich machte. An dieser Stelle hätte das italienische Design in die Bedeutungslosigkeit abdriften können. Tat es aber nicht. Dank des sogenannten „Radical Design“, das sich konsequent gegen den Massenkonsum stellte. Junge, wilde Designer sahen das „Bel Design“ in einer Sackgasse und wollten etwas entgegensetzen. Diese neue Generation solidarisierte sich zudem mit den Arbeiteraufständen.
Leuchtenklassiker, die Geschichte schreiben
Auch für den Leuchten-Bereich wurden in den 1960er-Jahren entscheidende Weichen gestellt. Denn genau zu Beginn des neuen Jahrzehnts wurden Flos und Artemide gegründet, die heutzutage zu den Marktführern gehören. Nicht ohne Grund, denn man setzte schon früh auf außergewöhnliche Designs. Bei Flos gehören etwa der Kronleuchter 2097, den Gino Safratti 1958 entwarf, oder die beiden Leuchten Taccia und Arco (beide aus dem Jahr 1962) der Brüder Achille und Pier Giacomo Castiglioni zu den absoluten Beststellern, die den Leuchtenmarkt seinerzeit revolutionierten.
Aber auch Artemide konnte bereits 1965 mit der Tischleuchte Eclisse von Vico Magistretti punkten, der darin das futuristische Pop-Design der 1970er-Jahre vorwegnahm. Vico Magistretti wechselte 1972 als Designer übrigens zu Oluce, für die er 1977 die Tischleuchte Atollo entwarf. Auch sie zählt heute zu den meistverkauften Klassikern und prägte das Gesicht des italienischen Designs entscheidend mit. Der Verlust von Magistretti als Designer wurde von Artemide übrigens gekonnt kompensiert. Schließlich brachte der Hersteller 1972 mit Richard Sappers Tizio eine Tischleuchte heraus, die bis heute nicht nur reißenden Absatz findet, sondern die auch in die Designsammlung des Museum of Modern Art in New York aufgenommen wurde.
Genau dieses Museum war es übrigens auch, dass 1972 für einen weiteren Hype rund ums italienische Design sorgte. Nämlich mit der Ausstellung „The Domestic Landscape“, in der etablierter Mainstream und Antidesign ebenso kontrastreich gegenüber gestellt wurden, wie Eleganz und Experiment. Damit bildete das Museum of Modern Art die komplette Widersprüchlichkeit des italienischen Designs ab.
Leuchtendesigns der Memphis-Gruppe
Einen weiteren Schub bekam das italienische Design 1976 durch das Studio Alchimia, das sich als postradikales Diskussionsforum verstand und der emotionslosen, funktionalistischen Massenproduktion individuelle und sinnlich ansprechende Unikate entgegensetzen wollte. Mit Erfolg. 1981 verließ der Designer Ettore Sottsass die Gruppe und gründete seine eigene: Memphis. Diese war weniger konsumkritisch, wollte aber auch den emotionalen und kommunikativen Aspekt von Design mit farbenfrohen und verspielten Entwürfen hervorheben. Zudem propagierte Memphis mit seinen Kollektionen die Multifunktionalität des Designs.
Nicht nur für das Möbel-, sondern auch für das Leuchtendesign war Memphis entscheidend. Denn Artemide-Mitbegründer Ernesto Gismondi gehörte zu den Mentoren der Gruppe. Einer der ersten Designer, der so für Artemide Leuchten entwarf, war Ettore Sottsass höchst selbst. Nämlich 1982 die Leuchte Callimaco. Neben Matteo Thun gehörte auch Michele de Lucchi zu den Memphis-Mitgliedern, die für Artemide designten. Von ihm stammt die Tolomeo – eine der beliebtesten Leuchten der Welt. Bis heute.
Italienisches Design weltweit
1986 formierte sich die zweite Memphis-Generation mit zwölf Designern, die allerdings nichts Originäres hervorbrachten und schnell als Modeerscheinung abgetan wurden. 1988 löste sich die Gruppe endgültig auf. Neue Impulse hatte das italienische Design zu diesem Zeitpunkt aber auch gar nicht mehr nötig. Schon längst wurde um etablierte wie neue Designer ein regelrechter Kult aufgebaut, der sich durch sämtliche Designbereiche von der Mode über Möbel bis hin zur Automobilindustrie zog. Design wurde zu einem Synonym für Lifestyle. Und der Designer zum Star.
Statt dank des Kults aber abzuheben, setzen vor allem die Industriedesigner dem Hype um die eigene Person eine neue Bescheidenheit in ihren Entwürfen entgegen. Zugleich passierte, was überall auf der Welt in den 1990er-Jahren geschah: man internationalisierte sich. Italienische Designer sind inzwischen weltweit gefragt während italienische Firmen mit international renommierten Designern zusammenarbeiten. Dem Hype um das italienische Design an sich hat das indes keinen Abbruch getan. Dafür war die Entwicklung in so kurzer Zeit einfach zu intensiv, produktiv und vor allem prägnant. Und dadurch eben legendär.