Neil Poulton: „Ich will Lichttechnik in eine schöne Form bringen“

Er ist regelmäßiger Gast auf den Gala-Abenden wichtiger Design-Preise und hat bereits mit den renommiertesten Herstellern aus der Elektro- und Technologiebranche zusammengearbeitet: Der gebürtige Schotte Neil Poulton, der mittlerweile seit 25 Jahren in Paris lebt, gehörte während der Light + Building zu den Ehrengästen von Artemide.

Er ist regelmäßiger Gast auf den Gala-Abenden wichtiger Design-Preise und hat bereits mit den renommiertesten Herstellern aus der Elektro- und Technologiebranche zusammengearbeitet: Der gebürtige Schotte Neil Poulton, der mittlerweile seit 25 Jahren in Paris lebt, gehörte während der Light + Building zu den Ehrengästen von Artemide. Schließlich präsentierte er in Frankfurt am Main zwei nagelneue Designentwürfe für die italienische Premiummarke. Neben viele anderen Terminen nahm sich der Schöpfer von so ikonenhaften Leuchten wie der Talo, der Surf oder der Talak die Zeit und beantwortete geduldig alle Fragen im Prediger Experteninterview.

Neil Poulton asd. Foto: Prediger

Neil Poulton vor dem Prototyp der Samo Spiegelleuchte, die Hersteller Artemide neben vielen weiteren Neuheiten vor kurzem auf der weltgrößten Lichtmesse Light + Building in Frankfurt/Main vorgestellt hat. Foto: Prediger

Prediger Lichtberater: Herr Poulton, warum besuchen Sie in diesem Jahr die Light + Building? Präsentieren Sie in Frankfurt am Main neue Designleuchten oder sind Sie hier, weil Sie Deutschland so sehr mögen?

Neil Poulton: Natürlich bin ich hier, weil ich meine zwei neuen Leuchten und zwei überarbeitete Modelle präsentieren möchte. Die Tischleuchte Talak professional hat gegenüber ihrem Vorgänger ein deutlich leistungsfähigeres LED-Modul erhalten und besteht nun komplett aus Metall. Auch die Wandleuchte Talo 60 haben wir etwas überarbeitet und bieten sie bald mit neuen Oberflächen wie poliertem Kupfer oder Chrom an. Echte Neuheiten am Stand von Artemide sind die von mir entworfenen Prototypen Samo und Le Croquet. Samo ist ein Spiegel mit einer integrierten LED-Beleuchtung, im ausgeschalteten Zustand sind die Beleuchtungsfelder als solche kaum wahrnehmbar. Wird aber das Licht eingeschaltet, entsteht ein Lichtkreis, der das Gesicht rundherum und gleichmäßig beleuchtet. Die Pendelleuchten der Serie Le Croquet sind sowohl für den Wohn- aber auch für den Objektbereich gedacht und dank ihrer modularen Bauweise beliebig erweiterbar. Inspiration für diese Leuchte war übrigens ein Krocket-Hammer, der im schwarzen Korpus nachempfunden wurde und in dem die Elektronik verbaut ist.

Prediger Lichtberater: Sie sind am Stand von Artemide einer der Ehrengäste. Wie fühlt es sich an, einmal mehr für einen der bekanntesten Hersteller von Design-Leuchten zu arbeiten?

Neil Poulton: Sehr gut. Ich arbeite ja bereits seit etwa 20 Jahren für Artemide und es ist für mich eine große Ehre. Denn die Firmenphilosophie bei Artemide ist schon immer sehr besonders. Daran hat Ernesto Gismondi, der Gründer und Inhaber von Artemide, einen großen Anteil. Er ist von Anfang an dabei und hat das Unternehmen stark geprägt. Das überträgt sich natürlich auch auf die Menschen, die für Artemide arbeiten.

Jedes neue Produkt muss immer über eine gute Form, eine ausgezeichnete Qualität und moderne Technologie verfügen, sonst wird es gar nicht erst produziert.

Damit geht auch mein eigener Anspruch einher: Ich möchte bei jedem neuen Entwurf etwas Langlebiges schaffen, an dem die Menschen auch noch in 20, 30 oder 40 Jahren Freude haben. Anders also als zum Beispiel bei Smartphones, die in der Regel alle zwei bis drei Jahre durch bessere Modelle ersetzt werden.

Prediger Lichtberater: Leuchten wie die Talo, Surf, Rea oder Scopas waren große Erfolge, sowohl für Sie aber natürlich auch für Artemide. Spüren Sie deshalb einen großen Druck, wenn Sie an zukünftige Projekte für Artemide denken?

Neil Poulton: Druck ist immer da, aber das ist normal. Man muss wissen, dass ein so großes Unternehmen wie Artemide unzählige Leuchtenentwürfe zugeschickt bekommt und dementsprechend auch zahlreiche Prototypen gebaut werden, die niemals in Produktion gehen. Es dauert deshalb sehr lange, bis eine Leuchte tatsächlich mal auf den Markt kommt. Das letzte Wort hat diesbezüglich immer Ernesto Gismondi. Er hat ein fotografisches Gedächtnis und kennt alle Leuchten, die Artemide jemals produziert hat. Für ihn muss eine neue Leuchte immer ein ausgefallenes Design haben, mit moderner Technik ausgestattet und irgendwie speziell sein. Artemide baut keine Leuchten, die in irgendeiner Form eine Hommage an alte Klassiker darstellen. Und es würde bei Artemide auch nicht funktionieren, wenn man sich als Designer die besten Elemente von verschiedenen Leuchten herauspickt und diese dann zu einer einer neuen Leuchte zusammenfügt.

Prediger Lichtberater: Blicken wir kurz zum Anfang Ihrer Karriere zurück. Wann haben Sie sich dazu entschieden Designer zu werden und vor allem warum?

Neil Poulton: Als ich zu Beginn der 1980er Jahre anfing Industriedesign an der Napier University in Edinburgh zu studieren, gab es praktisch keine durchdesignten Produkte wie wir sie heute zum Beispiel von Apple kennen. Design ist allgegenwärtig und überall zugänglich, deshalb ist die Motivation junger Leute, heute Produktdesign zu studieren, eine ganz andere als es meine damals war.

Mich hat es dagegen schon immer interessiert, praktische und funktionale Dinge zu entwerfen, die einem das Leben einfacher und angenehmer machen.

Vielleicht auch, weil ich bei den riesigen und unpraktischen Maschinen, die es in den 1980er Jahren gab, immer dachte: Das geht bestimmt besser. Mir ging es also in erster Linie darum, Dinge zu kreieren. Der Aspekt Design hat für mich dann erst an Bedeutung gewonnen, als ich mein Masterstudium in Italien absolviert und die Seminare von Andrea Branzi, Alberto Meda, Ettore Sottsass oder dem kürzlich verstorbenen Richard Sapper besucht habe. Sie haben meinen Blick auf das Design geprägt, nachdem es für mich lange nur um die technische Komponente von Produkten ging.

Prediger Lichtberater: Sie leben nun schon seit über 25 Jahren in Paris. Warum sind Sie damals in die französische Hauptstadt gezogen? Und wird Paris seinem Ruf als Metropole des Designs gerecht?

Neil Poulton: Paris ist eine sehr schöne, lebendige und vor allem weltoffene Stadt mit großer Kultur und Geschichte. Ich mag es wirklich dort zu leben. Paris ist für jeden Designer sehr interessant, denn in der Stadt verbinden sich beispielsweise traditionelle Architektur mit innovativen Ideen und neuen Designentwürfen. Dort setzt man sich sehr stark dafür ein, dass Traditionen bewahrt werden, gleichzeitig ist man aber offen für neue Ideen. Wenn man beispielsweise vom Triumphbogen in Richtung Louvre schaut, sieht man sehr viel klassische Architektur, die aber von der modernen Glaspyramide am Louvre-Eingang aufgebrochen wird. Es wird somit eine Brücke zwischen Tradition und Moderne geschlagen, das finde ich faszinierend.

Prediger Lichtberater: Wenn wir über Designer sprechen, interessiert uns natürlich auch noch, von welchen Designern Sie am meisten beeinflusst wurden.

Neil Poulton: Wenn ich ehrlich bin, waren es schon immer eher Formen und Skulpturen, die mich geprägt haben, und nicht so sehr bestimmte Designer. Constantin Brâncusi muss ich in diesem Zusammenhang unbedingt nennen, ich bewundere ihn. Aber ich muss natürlich auch sagen, dass die bereits erwähnten Meda, Branzi und Sapper natürlich einen gewissen Einfluss auf meine Entwicklung während des Master-Studiums in Mailand genommen haben.

Prediger Lichtberater: Ihr Name steht seit vielen Jahren für geradliniges Design und eine einfache Formgestaltung. Welchen Einfluss hat der technische Fortschritt auf die Gestaltung Ihrer neuesten Designentwürfe?

Neil Poulton: Mit der LED-Technologie ist mittlerweile alles möglich. Aber für mich ist es keine Herausforderung, extrem flache und kleine Leuchten zu entwerfen, die als solche kaum noch wahrgenommen werden. Eine Leuchte bzw. das Leuchtmittel komplett verschwinden zu lassen, ist längst kein Problem mehr. Das war vor einigen Jahren noch anders, als ich mir zum Beispiel Gedanken machen musste, wie ich bei der Wandleuchte Surf die Elektronik verstecke. Mir geht es vielmehr darum, einzigartige Lichtobjekte zu schaffen – immer nach der Maxime: Form follows function. Ich will die Lichttechnik in eine schöne Form bringen und ein Produkt erschaffen, an dem die Menschen auch noch in vielen Jahren Freude haben. Ein gutes Vorbild dafür ist die Tolomeo von Artemide, die man sich als Student kauft und an der man sich noch viele Jahre später erfreut.
Gestalterisch ist dank der LED heutzutage nahezu alles möglich, außerdem gibt es bei Artemide viele Mitarbeiter, die ein unglaubliches Know-how in Sachen LED-Technik haben. Zu ihnen kann ich mit meinen Ideen immer kommen, denn oftmals weiß ich nicht, wie bestimmte Entwürfe umzusetzen sind. Aber mit der Entwicklungsabteilung von Artemide läuft die Zusammenarbeit wirklich sehr gut, da bekomme ich immer Hilfe und werde oft auch auf neue Ideen gebracht, auf die ich selbst vielleicht nie gekommen wäre.

Prediger Lichtberater: Was denken Sie über das Thema OLED? Haben Sie schon Ideen, wie Sie diese moderne Technologie für neue Design-Leuchten einsetzen können?

Neil Poulton: Ich finde die OLED wirklich interessant, aber weniger für den Leuchtenmarkt als vielmehr für Smartphones und Fernseher. Ich habe natürlich schon darüber nachgedacht, inwieweit sich die OLED in Designleuchten einsetzen lässt. Aber die Technik ist noch nicht ausgereift und viel zu teuer. Viele Firmen forschen auf dem Gebiet der OLED schon seit zehn Jahren oder länger, aber es fehlt immer noch an guten, innovativen Lösungen, wie sich die neue Technik für Designleuchten effektiv einsetzen lässt.

Prediger Lichtberater: Sie haben in Ihrer Karriere bereits alle wichtigen Designpreise gewonnen. Einige sogar mehrfach. In diesem Jahr haben sie aber auch als Jurymitglied für den iF Design Award gearbeitet. Wie wichtig sind Designpreise für Sie und Ihre Inspiration?

Neil Poulton: Designpreise sind für mich nicht so sehr eine Inspiration, sondern vielmehr eine Anerkennung für die geleistete Arbeit. Sie sind so etwas wie ein Schulterklopfer, aber darüber freue ich mich natürlich. Durch die Arbeit als Jury-Mitglied beim iF Design Award in diesem Jahr habe ich allerdings einen ganz anderen Blick auf die unterschiedlichsten Produkte bekommen. Und auch darauf, warum sie einen Preis gewonnen haben. Die meisten Produkte sprechen eine besondere Formsprache, die meisten Produkte zielen vor allem auf den visuellen Aspekt. Immer wieder sieht man ihnen ihre Funktionalität dann auch an, was natürlich ebenfalls honoriert wird. Die Juryarbeit in Hamburg, wo wir alle Produkte besprochen und bewertet haben, war wirklich sehr schön. Denn zwischen den Jurymitgliedern entwickelten sich viele intensive, aber sehr fruchtbare Diskussionen. Immer wieder haben wir in der Jury diskutiert: Warum sollte beispielsweise dieses Produkt gewinnen, das andere dagegen nicht? Ich habe dann immer wieder bemerkt wie ich für ein fremdes Produkt Partei ergreife – oder es kritisiere. Das war neu für mich, denn eigentlich macht man das nur mit den eigenen Produkten. Und durch diese Diskussionen hat man einen ganz eigenen Blickwinkel auf die Produkte und die Ansätze der Designer bekommen. Das hat mir sehr gefallen.

Prediger Lichtberater: Herr Poulton, wir bedanken uns für das angenehme und interessante Gespräch.